Die Juden stecken hinter dem 11. September!

»Die Juden stecken hinter dem 11. September!«

Diese Verschwörungserzählung ist im Internet ein Evergreen: 9/11 sei ein Inside Job. Hinter dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York 2001, den in Wirklichkeit al-Qaida zu verantworten hat, würden wahlweise Israel, „die Juden“ und/oder die USA stecken. Medien und Politik – die fest in der Hand der »Zionisten« seien – würden »die Wahrheit« unterdrücken. Als Beleg dafür wird behauptet, dass Jüdinnen*Juden, die im Gebäude arbeiten, vorgewarnt worden und an dem Tag nicht zur Arbeit erschienen seien. Somit habe es auch keine jüdischen Opfer gegeben.

Bis heute bleibt die 9/11-Verschwörungserzählung hartnäckig – ob in Internet-Foren, bei islamistischen Gruppierungen oder auf »Querdenken«-Demos während der Covid-Pandemie. Sie bedient dabei klassisch antisemitische Klischees.

Jetzt mal in Ruhe…

Spätestens seit den »Protokollen der Weisen von Zion« – ein antisemitisches Hetzpamphlet, zunächst 1903 erschienen, das von den »geheimen Plänen« einer jüdischen Weltverschwörung zu berichten behauptet – ist der Kern nahezu jeder Verschwörungsideologie: »Da stecken doch die Juden dahinter!« 1. Die klassisch antisemitischen Zuschreibungen, Jüdinnen*Juden verfügten über Macht, Geld und globale Netzwerke, bilden das Fundament für verschwörungsideologische Erklärungen. Je größer und einschneidender ein Ereignis empfunden wird, desto intensiver die Legendenbildung.

Die Anschläge vom 11. September 2001 werden von vielen als äußerst prägendes Ereignis mit globalen Konsequenzen empfunden. Insofern verwundert es kaum, dass es neben der Corona-Pandemie wohl kein Ereignis der jüngeren Geschichte gibt, über das so viele Verschwörungserzählungen existieren, wie 9/11.

Die Organisation »Anti-Defamation League« (ADL) aus den USA veröffentlichte zehn Jahre nach den Anschlägen eine Studie über die antisemitischen Verschwörungserzählungen im Kontext von 9/11 und unterscheidet insgesamt drei Meta-Erzählungen: 1. Der Mossad (israelischer Auslandsgeheimdienst) stecke hinter den Anschlägen; 2. Jüdische Neokonservative steckten hinter den Anschlägen; 3. Medien und Politik, beides jüdisch kontrolliert, verhinderten, dass die Wahrheit ans Licht kommt 2.

Ziel sei zum Beispiel gewesen, eine geostrategische Konstellation zu erzwingen, von der Israel profitiere. Vor allem in arabischen Ländern ist die Ansicht verbreitet, Israel stecke hinter den Anschlägen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2008 zufolge gaben beispielsweise 43 Prozent der Befragten in Ägypten an, Israel sei schuld gewesen. Im globalen Durchschnitt waren es immer noch sieben Prozent 3.

Die Behauptung, die US-amerikanische Politik und Medienlandschaft seien fest in jüdischer Hand und verschwiegen die Wahrheit über 9/11, kombiniert klassisch antisemitische Topoi vom medialen Einfluss mit plattem Antiamerikanismus (Vgl. »Die Juden kontrollieren die USA!«). Die Grundannahme lautet, dass die breite Öffentlichkeit manipuliert oder dumm gehalten wird, um die Massen besser kontrollieren zu können.

In den antisemitischen Verschwörungserzählungen über die Terroranschläge vom 11. September 2001 fließen zahlreiche Einzelbausteine des Antisemitismus zusammen – und verschmelzen zu einer großen Erzählung moderner Verschwörungsideologien 4, die dann später auch in solche über die Covid-Pandemie oder den Ukraine-Krieg mündeten.

  1. Egenberger, C. (2015): Die Protokolle der Weisen von Zion. Bundeszentrale für politische Bildung. URL: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/210333/die-protokolle-der-weisen-von-zion/

  2. Anti-Defamation League (2014): Decade of Deceit: Anti-Semitic 9/11 Conspiracy Theories 10 Years Later. URL: https://www.adl.org/sites/default/files/documents/assets/pdf/anti-semitism/united-states/911-conspiracy-theories-2011-8-30.pdf

  3. WorldPublicOpinion.org (2008): International Poll: No Consensus On Who Was Behind 9/11. URL: http://worldpublicopinion.net/wp-content/uploads/2017/12/WPO_911_Sep08_pr.pdf

  4. Jaecker, T. (2004): Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September. Neue Varianten eines alten Deutungsmusters. Münster

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