„Die Zionisten sind die Nazis von heute!“

»„Die Zionisten sind die Nazis von heute!“«

Sich seiner historischen Verantwortung entledigen zu wollen ist ein weit verbreitetes Bestreben. So manch einer empfindet die Erinnerung an deutsche Verbrechen als lästige Einschränkung seines Nationalstolzes. Oft wird der Holocaust nicht vollständig geleugnet, sondern es wird versucht, Qualität und Quantität des deutschen Vernichtungsprogramms kleinzureden, etwa durch hinkende Vergleiche. Holocaustleugnung light, sozusagen.

Diese grassierende Vergleicheritis kennt viele Ausdrucksformen. Ganz besonders verlockend ist es scheinbar, ausgerechnet Jüdinnen und Juden zu unterstellen, sich wie Nazis zu verhalten. Slogans wie »Gestern Opfer, heute Täter«, gerne noch mit dem Hinweis, die Opfer hätten nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, zielen auf die völlige moralische Entlastung Deutschlands ab. Wenn die Leidenden von damals heute genauso schlimm sind wie ihre damaligen Peiniger, dann ist man ja schließlich quitt, so die Logik. So kann man sich seiner historischen Verantwortung natürlich auch entledigen.

Das bloße Austauschen des Wortes »Jude« durch »Zionist« ändert übrigens auch nichts daran, ob deine Aussage antisemitisch ist oder nicht. Netter Versuch.

Jetzt mal in Ruhe…

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen etwas mehr als ein Viertel der befragten Deutschen folgender Aussage zu: »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.«1 Laut dieser Studie nimmt die Zustimmung zu traditionellen Formen des Antisemitismus tendenziell ab. Jedoch erfreuen sich moderne Formen – und hier vor allem jene, die sich auf Israel beziehen – großer Beliebtheit.

Solche historischen Umdeutungen beschränken sich nicht nur auf den jüdischen Staat. Es wird beispielsweise auch behauptet, die Alliierten hätten einen »Bombenholocaust« an den Deutschen begangen (Vgl. »Die Deutschen haben ja auch gelitten«). Es handelt sich um Projektionsleistungen, um Hirngespinste, die dem generellen Bedürfnis nach einer Abwehr der eigenen, gesellschaftlichen Verantwortung entspringen.2 Beziehen sich die Projektionen allerdings ausgerechnet auf Israel, so erreichen sie ein ganz besonderes Ausmaß an Niederträchtigkeit, da hier ausgerechnet den Opfern eines Verbrechens (bzw. deren Nachkommen) vorgeworfen wird, sich zu verhalten wie die Täter.3 Konsequenterweise wird eine solche Opfer-Täter-Umkehr in der sozialwissenschaftlichen Forschung und der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung als antisemitisch gesehen.4

Israel als ein Projekt von Faschisten und Juden als die neun Nazis zu porträtieren hat aber nicht nur auf ideologischer Ebene Effekte. Dieses Blid hat durchaus einen zumindest impliziten, nicht selten aber auch expliziten Aufforderungscharakter. Gerade in linken, politischen Strömungen, die sich Ideen des Antiimperialismus verpflichten, stellt der »Kampf gegen Faschismus« einen großen gemeinsamen Nenner dar. Wird Israel nun zum faschistischen Staat deklariert5, wäre es also die Pflicht eines jeden, diesen zu bekämpfen. Ressentiments und Aktivitäten, gegen den jüdischen Staat werden also plötzlich zum Akt des praktizierten Antifaschismus.

  1. Friedrich-Ebert-Stiftung (2014). Presse-Handout „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“.

  2. Adorno, T. W. (1955). Schuld und Abwehr. In F. Pollock (Hrsg.), Gruppenexperiment. Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt.

  3. Vgl. hierzu auch: Schwarz-Friesel, M. (2012). Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin: De Gruyter. (Vor allem S. 231f)

  4. Vgl. Zick, A. und Küpper, B. (2005). Kurzbericht aus dem GMF-Survey, 2005/1. Antisemitismus in Deutschland. oder auch: European Forum on Antisemitism. Arbeitsdefinition „Antisemitismus“.

  5. Die Parole »Zionismus ist Faschismus« bezeugt übrigens, dass es gar nicht auf die tatsächliche Politik Israels ankommt. Alleine schon die Idee eines jüdischen Staates – Zionismus – wird in diesen Diskursen als faschistisch dargestellt.

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Zionismus bezeichnete ursprünglich eine politische Ideologie mit dem Ziel, einen jüdischen Staat zu errichten. Mit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 wurde dies erreicht, doch auch heute noch bezeichnen sich einige Organisationen und Institutionen, die für den Erhalt Israels eintreten, als »zionistisch«.

Deutlich häufiger allerdings werden hierzulande Begriffe wie »zionistisch« oder »Zionist« in einem antisemitischen Kontext verwendet, als Form einer so genannten »Umwegkommunikation«, einer Sprechweise also, die versucht, dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, indem die Begriff »jüdisch« oder »Jude« gemieden werden. Nicht selten wird explizit hinzugefügt, die Argumentation könne nicht antisemitisch sein, schließlich bezeichne »Zionisten« nicht alle Jüdinnen und Juden, sondern nur bestimmte – jene nämlich, die der Ideologie des Zionismus anhingen. Aber von welchem Zionismus sprechen diese Leute eigentlich? Vom religiösen Zionismus? Vom sozialistischen? Grünen? Liberalen?

Wird der Begriff »Zionismus« im antisemitischen Kontext verwendet, dann geschieht dies – trotz der Behauptung, man spreche von einer echten politischen Bewegung – losgelöst von real existierenden politischen Konstellationen und Ideen in all ihrer Diversität. Stattdessen wird eine Strohpuppe gebastelt, die mit der politischen Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun hat. »Zionismus« wird zum puren Bösen stilisiert, als eine Ideologie, die auf Menschenfeindlichkeit und Vernichtungswünschen aufbaut. Die Anhänger dieser Ideologie müssten somit natürlich von jedem halbwegs klar denkenden Menschen bekämpft werden.

Die verzerrte Darstellung der zionistischen Ideologie als eine hassenswerte Karikatur ihrer selbst, wird umso tragischer, wenn man betrachtet, wer in der Definition antisemitischer Akteure zu dieser bekämpfenswerten Bewegung gezählt wird. Vor allem in Parolen wie »Die echten Juden sind gegen Zionismus!« wird es deutlich: In der Lesart des modernen Antisemitismus, ist jeder Jude, der sich nicht eindeutig antizionistisch positioniert, ein Zionist.

Das »guter Jude, böser Jude«-Spiel ist alt und die hier vorliegende Variante ist nur eine von vielen. Eines ist ihnen aber allen gemein: Am Ende sind eigentlich alle Jüdinnen und Juden, bis auf wenige, handverlesene Exemplare, auf der Seite des »Bösen« zu finden. Die Behauptung, man habe ja nichts gegen Juden, sondern lediglich gegen Zionisten, wird somit zur Farce.