„Die Juden kontrollieren die USA!“

»„Die Juden kontrollieren die USA!“«

Ob bei Oma am Kaffeetisch, im Jugendclub oder beim Kabarett: Mit „Witzen“ über die USA eckst du eigentlich nirgends wirklich an. Du wirst immer jemanden finden, der eine Anekdote zur vermeintlichen Kulturlosigkeit der US-Amerikaner:innen parat hat. Das überhebliche „Kritisieren“ von Fast Food oder und dekadentem Konsumverhalten könnte man noch getrost als billigen Kulturchauvinismus abhaken, nerven tut es aber auf jeden Fall.
Dieser alltägliche Antiamerikanismus mag noch vergleichsweise harmlos sein, aber er liefert die Grundlage für krudere Ansichten: Schnell ist die Rede von der „Weltpolizei“, die weltweit Kriege primär aus Profitinteressen führt und als Sinnbild für den globalen Kapitalismus herhalten muss. Aber wir alle wissen ja, wer eigentlich dahintersteckt, oder? Jüdinnen und Juden, na klar, wer auch sonst. Zumindest glauben das einige Leute. Ob es sich bei den betreffenden Personen (meist Unternehmer:innen und Banker:innen) tatsächlich oder nur vermeintlich um Jüdinnen und Juden handelt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Was dieser haarsträubende Unsinn nun mit dem zu Beginn geschilderten Kulturchauvinismus zu tun hat? Sie sind die Basis des Verschwörungsnarrativs, die USA produzierten jene Manipulationsinstrumente, mit denen die jüdische Weltverschwörung die globalen Massen dumm halten wolle. Soll heißen: dekadente Pop-Kultur, ungesundes Essen und Konsum allgemein. Nordsee-Fischbrötchen, Musikantenstadl und Capri-Sonne sind da schließlich viel progressiver. Nicht.

Jetzt mal in Ruhe…

Nicht dass wir uns falsch verstehen: Nicht jede:r, der beispielsweise Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten äußert, ist ein:e antisemitische:r Aluhut-Schwurbler:in. Man sollte sich aber vor Augen führen, dass stereotype Vorstellungen zu Gesellschaft und Politik der Vereinigten Staaten den Grundstein für Verschwörungsdenken ist. Hier tritt zunächst ein klassisches Problem auf: Verschwörungstheorien argumentativ beizukommen ist schwierig. Prinzipielles Misstrauen gegenüber allem, was nicht ins eigene Weltbild passt und keine Widersprüche duldet, verunmöglicht in der Regel jeden faktenbasierten Dialog. 1
Das ist die eine Sache. Die andere ist das offensichtliche Messen mit zweierlei Maß, wenn es beispielsweise um US-amerikanische Außenpolitik geht. Das Narrativ der imperialistischen „Weltpolizei“, die vor allem die nicht-westliche Welt aus profitorientierten Interessen mit Krieg überziehe, um eine weltweite kulturelle Hegemonie anzustreben, ist unter dem Schlagwort „Amerikanisierung“ weit verbreitet.2 Nun lässt sich zweifelsohne trefflich über Sinn und Effektivität US-amerikanischer Militäreinsätze wie im Irak oder in Afghanistan streiten. Auffällig ist jedoch, dass ähnliche Einsätze anderer Staaten (wie beispielsweise die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland) weitaus weniger internationales Echo auslösen. Gutes Stichwort: Ähnlich verhält es sich nämlich mit Israel, das von „Amerika-Kritiker:innen“ gerne als „Brückenkopf“ zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen im Nahen Osten gesehen wird. Es stimmt, dass die USA in jeglicher Hinsicht der wichtigste und vor allem zuverlässigste Verbündete für den jüdischen Staat sind. Gerade dann, wenn die UN wiederholt Israel verurteilt, während offenkundige Menschenrechtsverletzungen wie in Syrien oder Nordkorea kaum die Gemüter zu erregen scheinen. Fakt ist aber auch, dass die Solidarität der USA mit Israel keinesfalls immer so bedingungslos war und ist, wie gerne angenommen wird. Im Gegensatz zum ehemaligen Präsidenten Donald Trump war dessen Vorgänger Barack Obama beispielsweise ein vehementer Kritiker der israelischen Siedlungspolitik und äußerte sich in dieser Hinsicht mehrfach ausgesprochen deutlich gegenüber Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.3 In diesem Kontext von einer unanfechtbaren jüdischen Lobby in der US-amerikanischen Außenpolitik zu sprechen ist also einigermaßen unsinnig.
Kurzum: Antisemitismus und Antiamerikanismus sind ein Traumpaar, wie es sonst nur in schmalzigen Filmen existiert. Die antisemitische Vorstellung vom Jüdischen teilt sich mit dem Klischeebild vom „Ami“ zahlreiche Attribute: Nur auf’s Geld bedacht, mächtig und letztendlich „kulturlos“. Meist werden diese stereotypen Vorstellungen nicht ganz offen artikuliert, vielmehr spricht man besonders im Kontext des Bankgeschäfts meist von „einflussreichen Kreisen an der Wall Street“ oder der „Ostküstenlobby“. Kein Wunder also, dass gerade Personen wie der Milliardär George Soros, der New Yorker Finanzdienstleister Goldman Sachs oder Unternehmer- und Bankiersfamilien wie Rockefeller und Rothschild als Vertreter:innen einer amerikanischen, wenn nicht gar weltweiten jüdischen Verschwörung gesehen werden.

  1. Vgl. Jaecker, T. (2004). Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September. Münster: LIT Verlag, S. 15.

  2. Emanzipation & Frieden (2011): Was ist Antiamerikanismus? (19.12.2018).

  3. Hans Monath (2016): Barack Obamas Nahost-Vermächtnis. In: Der Tagesspiegel, 26.12.2016. (https://www.tagesspiegel.de/politik/un-resolution-veraergert-israel-barack-obamas-nahost-vermaechtnis/19178086.html)

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