„Einige meiner besten Freunde sind Juden!“

»„Einige meiner besten Freunde sind Juden!“«

Deine Arbeitskollegin, dein Mitspieler im Fußballclub oder dein WG-Mitbewohner ist jüdisch und du verstehst dich hervorragend mit dieser Person, also kannst du gar nicht antisemitisch sein! Diese Freunde würden die Hand für dich ins Feuer legen und bezeugen, dass du kein Antisemit bist! Wie wäre es mit „Ich kann kein Sexist/nicht frauenfeindlich sein, meine Mutter ist schließlich eine Frau!“? Klingt unsinnig? Ist es auch!
Wenn du dich antisemitisch äußerst und entsprechende Einstellungen vertrittst, dann ist es völlig egal, mit wem du befreundet bist und mit wem nicht. Guess what: Beim Antisemitismus geht es nicht um deine persönlichen Befindlichkeiten!
Das jüdische Feigenblatt ist bei Antisemiten schon immer beliebt, aber wissen eigentlich deine angeblichen, jüdischen Freunde, dass du dich hinter ihnen versteckst? Das ist zwar ein netter Versuch, dich gegen Antisemitismus zu immunisieren, funktioniert aber nicht.

Jetzt mal in Ruhe…

Persönliche, soziale Nähe oder Distanz zu Jüdinnen und Juden sagt wenig darüber aus, ob deine Äußerungen und Einstellungsmuster antisemitisch sind oder nicht. Antisemitismus ist eine bestimmte Sicht auf die Welt, die versucht, deren reale oder angenommene Ungerechtigkeiten, Widersprüche und Konflikte mit einem simplen Erklärungsmuster aufzulösen, an dessen Ende immer das abstrakte Jüdische steht. In seiner gewaltvollen, physischen Form richtet sich Antisemitismus zwar gegen ganz reale Jüdinnen und Juden, als Ideologie funktioniert er allerdings überindividuell. Konkret bedeutet dies, dass zwar tatsächlich einer deiner besten Freunde jüdisch sein mag, du aber dennoch gleichzeitig einer antisemitischen Ideologie anhängen kannst.
Dem Statement „Einige meiner besten Freunde sind Juden“ folgt nicht selten das berühmte „aber“, das es sogleich relativiert: Aber Freunde muss man auch kritisieren können! Aber was die Zionisten in Israel machen ist gegen die Menschenrechte! Aber viele von ihnen sind arrogant! Wer so argumentiert, möchte sich selbst eine vorauseilende Absolution erteilen.
Außerdem gibt es da auch noch die sprichwörtliche Ausnahme, durch welche die Regel bestätigt wird. Selbst viele wirklich überzeugte Judenhasser können auf Nachfrage eine Handvoll Jüdinnen und Juden nennen, gegen die sie nichts einzuwenden haben: Holocaustleugner verweisen auf jüdische Revisionisten und Antizionisten auf antiisraelische, jüdische Splittergruppen (Vgl. „Das wahre Judentum ist gegen Zionismus!“), immer um dem Publikum vermeintlich zu beweisen, dass man gar nicht antisemitisch sei, schließlich halte man sehr viel von diesen „guten“ Juden.
Die Soziologin Julia Bernstein weist in der Studie „Mach mal keine Judenaktion!“ darauf hin, dass der Verweis auf jüdische Freunde zum Teil auch das Resultat der fortschreitenden Ächtung offen antisemitischer Aussagen ist und es sich um eine Abwehrstrategie handle. Antisemitismus, der als solcher erkannt werden könnte, bedürfe einer Entschuldigung oder Rechtfertigung. Dies führe regelmäßig dazu, dass entsprechende Statements mit einer ungefragten Distanzierung von jeglichem Antisemitismus oder eben einem positiven Bezug zu Jüdinnen und Juden eingeleitet werden. Dies stelle den Versuch dar, das eigentlich sozial Unsagbare doch noch sagbar zu machen. 1
Letztlich handelt es sich um eine reichlich durchschaubare Kommunikationsstrategie: Der Verweis auf, meist ohnehin nicht nachprüfbares, Privates schafft eine moralische Erhabenheit über den Gesprächsgegenstand und soll somit jegliche Kritik erschweren, da diese dann eben keine rein sachliche mehr ist, sondern plötzlich sehr persönlich wird.

  1. Julia Bernstein: „Mach mal keine Judenaktion“ – Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus. University of Applied Science Frankfurt. 2018. S. 33f

schließen