»Der 7. Oktober war ein Akt der Befreiung.«
Am 7. Oktober 2023 überfiel die islamistische Terrororganisation Hamas den jüdischen Staat Israel, ermordete ca. 1200 Menschen und nahm 240 israelische Geiseln. Es war der tödlichste Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah. Trotz der Grausamkeit gegen israelische Zivilist*innen, welche die Hamas selbst in Videos dokumentierte und stolz veröffentlichte, gab es Gruppen, die den Angriff guthießen und behaupteten, die Hamas habe einen Akt der Befreiung vollzogen. In Berlin wurde beispielsweise auf der Sonnenallee gefeiert und Baklava verteilt 1.
Auf den Demonstrationen, die sich in den folgenden Wochen und Monaten zu dem Überfall und Israels militärischem Gegenschlag positionierten, fielen immer wieder die Sätze »From the river to the sea: Palestine will be free!«. Bei einer Besetzung an der Berliner Humboldt Universität schrieb jemand »Gaza will free us all« an die Wand. Der Krieg zwischen der Hamas und Israel wird so in einen Befreiungskampf und teilweise in eine Erlösungsideologie umgedeutet, welche die terroristische Gewalt legitimiert und zu einer Handlung im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse stilisiert.
Es darf und muss jedoch immer gefragt werden: Wovon soll Palästina eigentlich befreit werden? Das Leben in den palästinensischen Gebieten, dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland, ist mit Sicherheit kein freies. Palästinenser*innen können sich nicht frei über Grenzen hinweg bewegen, die Hamas verfolgt systematisch Minderheiten wie zum Beispiel queere Personen, im Gaza-Streifen gibt es nur einen beschränkten Zugang zu Ressourcen und nirgendwo demokratische Wahlen, es kommt es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen. Im Westjordanland gibt es häufig Zusammenstöße zwischen Palästinenser*innen und dem israelischen Militär – die Ursachen dafür liegen auf beiden Seiten. Die Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung ist vor diesem Hintergrund verständlich und angemessen.
Schlägt der Wunsch nach Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben jedoch in den Wunsch nach Freiheit von Israel und Jüdinnen*Juden um, dann werden die Forderungen antisemitisch. Die Hamas will laut ihrer eigenen Charta Israel von der Landkarte tilgen und jüdisches Leben vernichten. Dabei werden auch antisemitische Verschwörungsideologien ins Feld geführt, etwa, dass Jüdinnen*Juden für Kriege in der ganzen Welt verantwortlich seien und sich an ihnen bereichern würden 2.
Die Unfreiheit der Palästinenser*innen rührt jedoch nicht aus der Existenz des israelischen Staates. Sie rührt aus einem mindestens 100 Jahre alten Konflikt, aus Verfehlungen auf allen Seiten dieses Konflikts, aus der Unterdrückung durch die Hamas und andere politische Lager, darunter die als moderat geltende Fatah, und auch aus der streitbaren israelischen Außenpolitik.
Dabei können die Politik und das militärische Handeln Israels auf der Grundlage der Anerkennung seiner Existenz durchaus kritisiert werden. Wenn jedoch die Zerstörung des einzigen Staates auf der Welt mit einer mehrheitlich jüdischen Bevölkerung im Raum steht, handelt es sich um Antisemitismus. Menschen, die einen palästinensischen Staat anstelle von Israel, nicht an der Seite Israels, fordern, überschreiten eine Grenze: Sie glorifizieren den Terror gegen Jüdinnen*Juden und sehnen die Vernichtung des jüdischen Schutzraumes herbei, der seit 1948 um seine Existenz kämpft.
Kapitelman, D. (2023): Jubel für die Hamas: Hass und Honig. Zeit Magazin. URL: https://www.zeit.de/zeit-magazin/2023/44/hamas-angriff-israel-berlin-neukoelln-feier-baklava
↩Pfahl-Traughber, A. (2023): Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas: Eine Fallstudie zu Judenfeindschaft im islamistischen Diskurs. Bundeszentrale für politische Bildung. URL: https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/
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