Die Zionisten sind die Nazis von heute!

»Die Zionisten sind die Nazis von heute!«

Sich seiner historischen Verantwortung entledigen zu wollen, ist ein weit verbreitetes Bestreben. So manch einer empfindet die Erinnerung an deutsche Verbrechen als lästige Einschränkung seines Nationalstolzes. Oft wird der Holocaust nicht vollständig geleugnet, sondern es wird versucht, Qualität und Quantität des deutschen Vernichtungsprogramms kleinzureden, etwa durch hinkende Vergleiche. Holocaustleugnung light, sozusagen.

Das kennt viele Ausdrucksformen. Ganz besonders verlockend ist es scheinbar, ausgerechnet Jüdinnen*Juden zu unterstellen, sich wie Nazis zu verhalten. Slogans wie »Gestern Opfer, heute Täter«, gerne noch mit dem Hinweis, die Opfer hätten nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, zielen auf die völlige moralische Entlastung Deutschlands ab. Ein anderes Beispiel ist Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, der den Israelis 2022 »50 Holocausts« in palästinensischen Ortschaften unterstellte 1. Wenn die Leidenden von damals heute genauso schlimm sind wie ihre damaligen Peiniger – vielleicht sogar schlimmer –, dann ist man ja schließlich quitt, so die Logik. Das bloße Austauschen des Wortes »Jude« durch »Zionist« ändert im Übrigen auch nichts daran, ob eine Aussage antisemitisch ist oder nicht.

Jetzt mal in Ruhe…

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmten 45 Prozent der befragten Deutschen zumindest teilweise der folgenden Aussage zu: »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben« 2. Laut dieser Studie nimmt die Zustimmung zu traditionellen Formen des Antisemitismus tendenziell ab. Jedoch erfreuen sich moderne Formen – und hier vor allem jene, die sich auf Israel beziehen – großer Beliebtheit. Europaweit variiert die Zustimmung für diesen Satz übrigens je nach Land zwischen 31 und 51 Prozent, so eine Studie der Bertelsmann Stiftung 2023 3.

Solche historischen Umdeutungen beschränken sich nicht nur auf den jüdischen Staat. Es wird beispielsweise auch behauptet, die Alliierten hätten einen »Bombenholocaust« an den Deutschen begangen. Es handelt sich um Projektionsleistungen, um Hirngespinste, die dem generellen Bedürfnis nach einer Abwehr der eigenen, gesellschaftlichen Verantwortung entspringen 4. Beziehen sich die Projektionen allerdings ausgerechnet auf Israel, so erreichen sie ein ganz besonderes Ausmaß an Niederträchtigkeit, da hier ausgerechnet den Opfern eines Verbrechens (bzw. deren Nachkommen) vorgeworfen wird, sich zu verhalten wie die Täter. Konsequenterweise wird eine solche Opfer-Täter-Umkehr in der sozialwissenschaftlichen Forschung und der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung als antisemitisch gesehen 5.

Israel als ein Projekt von Faschist*innen und Jüdinnen*Juden als die neuen Nazis zu porträtieren, hat aber nicht nur auf ideologischer Ebene Effekte. Dieses Bild hat durchaus einen zumindest impliziten, nicht selten aber auch expliziten Aufforderungscharakter. Gerade in linken, politischen Strömungen, die sich Ideen des Antiimperialismus verpflichten, stellt der »Kampf gegen Faschismus« einen großen gemeinsamen Nenner dar. Wird Israel nun zum faschistischen Staat deklariert, wäre es also die Pflicht eines jeden, diesen zu bekämpfen. Die Parole »Zionismus ist Faschismus« bezeugt übrigens, dass es gar nicht auf die tatsächliche Politik Israels ankommt. Alleine schon die Idee eines jüdischen Staates – der Zionismus – wird in diesen Diskursen als faschistisch dargestellt. Ressentiments und Aktivitäten gegen den jüdischen Staat werden also als Akt des praktizierten Antifaschismus phantasiert.

  1. Süddeutsche Zeitung (2022): Empörung nach Holocaust-Vergleich von Abbas. URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/abbas-scholz-kanzleramt-holocaust-israel-1.5640316

  2. Zick, A., B. Küpper (2021): Die geforderte Mitte: Rechstextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn. S. 188f

  3. Jüdische Allgemeine (2023): Jeder dritte Europäer vergleicht Israel mit Nazis im Dritten Reich. URL: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/jeder-dritte-europaeer-vergleicht-israelis-mit-nazis-im-dritten-reich/

  4. Adorno, T. W. (1997 [1955]): Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse zum Gruppenexperiment. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 9.2. Frankfurt am Main. S. 121–324

  5. Schwarz-Friesel, M. (2012): Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin

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