Es muss auch mal Schluss sein.

»Es muss auch mal Schluss sein.«

Der Wunsch nach einem Schlussstrich unter der Zeit des Nationalsozialismus existiert praktisch seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Viele Menschen, die diese Zeit bewusst erlebt haben, sprachen im Nachhinein nicht über ihre Erfahrungen und Erinnerungen, sondern wollten dieses Kapitel und ihre Schuld einfach abstreifen. Das zeigte sich beispielsweise in der juristischen Verfolgung der Täter*innen: Obwohl klar war, dass die Vernichtungsindustrie des Holocaust eine nie dagewesene Verwüstung hinterließ – sowohl durch die Ermordung von 6 Millionen Menschen, als auch im Trauma der Überlebenden – wurde die Rechtsprechung ausgehebelt, sabotiert oder fand schlicht nicht statt. Allein von den Täter*innen, die beruflich in die Mordmaschinerie integriert waren, wurde bis heute weniger als ein Prozent wegen Mordes verurteilt 1.

Diese fehlende Aufarbeitung macht deutlich, dass keineswegs die Rede davon sein kann, die Nazizeit würde die Gesellschaft heute nicht mehr betreffen. Die Täter*innen und Mitwissenden konnten nach dem Krieg weitermachen wie bisher – und auch die Ideologie verschwand nicht einfach aus den Köpfen. Umgekehrt leben bis heute Zeitzeug*innen und deren Nachfahren, die das Trauma ihrer Eltern, Groß- und Urgroßeltern erst stückweise aufarbeiten können. Für sie ist mit einem Schlussstrich nicht alles gesagt, sie sind noch immer von den Folgen der Gewalt betroffen.

Jetzt mal in Ruhe…

Von den Verfechtern eines Schlussstriches heißt es manchmal, man sei nicht unter den Täter*innen gewesen und müsse sich mit diesem Kapitel nicht mehr befassen. Das ist eine notwendige Illusion des deutschen Nationalstolzes, der nur die vermeintlich rühmlichen Ereignisse aus der Geschichte herausgreift, um eine deutsche Identität zu konstruieren. Der Nationalsozialismus wird dann, in den Worten des AfD-Politikers Alexander Gauland, zum »Vogelschiss« umgedeutet. Dieser positive Selbstbezug der Deutschen unter Ausblendung des nationalsozialistischen Regimes und die ständige Beteuerung der Unschuld ist der Ausdruck eines Wunsches nach »Wiedergutwerdung der Deutschen«, wie es der Publizist Eike Geisel einmal ausdrückte 2.

Doch es geht nicht um Schuld: Die gesellschaftliche Verantwortung für die Taten der eigenen Vorfahren zu tragen, bedeutet, sich kritisch mit deren Weltbild zu befassen und an ihre Opfer zu erinnern. Der Nationalsozialismus ist nicht einfach über das »deutsche Volk« hereingezogen, er war durch weite Teile der Gesellschaft gedeckt und hätte ohne die massenhafte Unterstützung der Deutschen niemals sein mörderisches Potenzial entfalten können. Die Nachkriegsgenerationen müssen sich also fragen: »Wie konnte das passieren?«

Aufgabe der historischen Aufarbeitung und Erinnerungskultur muss neben der Pflege von Gedenkstätten, der Unterstützung Betroffener und der geschichtlichen Bildung immer auch ein Blick in die Zukunft sein: Die Sensibilisierung und Kritik gegenüber menschenfeindlichen Tendenzen in politischen Strömungen ist die Basis für eine Gesellschaft ohne Gewalt und Verfolgung.

  1. Bönisch, G., K. Wiegrefe (2008): »Ich zielte ruhig auf die Säuglinge«. Spiegel. URL: https://www.spiegel.de/geschichte/nazi-taeter-a-946732.html

  2. Geisel, E. (1984): Lastenausgleich, Umschuldung. Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Berlin

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