»Araber sind auch Semiten.«
Die Feststellung, Araber könnten nicht antisemitisch sein, da es sich bei ihnen schließlich selbst um »Semiten« handle, wird in Diskussionen immer wieder aus dem Hut gezaubert. Doch ständige Wiederholung steigert nicht den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung.
Zunächst einmal ist es sowieso völlig egal, wer oder was jemand ist. Wenn eine Aussage antisemitisch ist, dann bleibt sie das, egal wer sie geäußert hat. Außerdem bezeichnet der Begriff »Antisemitismus« nun schon seit mehr als 100 Jahren die Ablehnung alles Jüdischen, auch wenn noch so oft behauptet wird, dass das Wort ja eigentlich etwas ganz anderes bezeichnet. Begriffe haben eben manchmal eine andere Bedeutung, als das Wort vermuten lässt. Wer also glaubt, Antisemitismus beziehe sich nur auf »Semiten«, der könnte auch glauben, dass eine Schildkröte eine Kröte ist und ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Das Wort verschleiert seine Bedeutung. Es ist ein Code.
Außerhalb linguistischer Fachgespräche – »semitisch« ist eine Kategorie der Sprachwissenschaften – macht der Verweis auf »Semiten« aber heutzutage für Menschen wenig Sinn. Begriffe wachsen historisch und entwickeln sich in einem spezifischen sozialen Kontext. Der Begriff wird inzwischen als ungenau kritisiert und war lange auch rassistisch verwendet – als Gegenstück zum »Arier«-Mythos 1.
Der Begriff »Antisemitismus« entstand Ende des 19. Jahrhunderts, im Umfeld des Journalisten Wilhelm Marr. Marr suchte nicht etwa nach einer Bezeichnung für andere, sondern nach einer Bezeichnung für sich selbst, wie der Name der von ihm gegründeten »Antisemitenliga« eindrucksvoll beweist. Die seit Jahrhunderten existierende Judenfeindlichkeit hatte sich in der Zeit der Aufklärung von ihren religiösen Argumentationsmustern weitestgehend befreit und hat sich zu einer modernen, säkularen Spielart gewandelt 2. Mit dem Begriff »Antisemitismus« stand sofort ein Name für dieses Novum zur Verfügung. Diesem Namen wurde ganz bewusst der Anschein der neutralen Wissenschaftlichkeit geben, indem man ihn mit dem Begriff »Semiten« schmückte, auch wenn dieser Begriff dennoch allein auf Jüdinnen*Juden eingeengt wurde.
Letztlich bauen solche Tricksereien auf der Annahme auf, dass bestimmte Vorurteile nicht von jenen vertreten und verbreitet werden können, die selbst davon betroffen sind. Auch wenn dieser Gedanke zunächst durchaus nachvollziehbar erscheinen mag, so ist er in der Realität nicht haltbar. Selbstverständlich können sich auch Jüdinnen*Juden antisemitisch äußern, genauso wie Frauen sich sexistisch äußern können.