»Die Juden kontrollieren die USA!«
Über die Vereinigten Staaten von Amerika kursieren viele Vorurteile: Die »Amis« würden ständig Fast Food essen, seien nicht gebildet, das kulturelle Leben würde sich zwischen Pop-Songs und Blockbustern abspielen und auch sonst sei der Konsum Dreh- und Angelpunkt der US-amerikanischen Gesellschaft. Dieses Herabschauen ist nicht nur Ausdruck einer kulturchauvinistischen Haltung, sondern macht die USA zu den Vertretern des Kapitalismus schlechthin. Schnell vermischt sich das Sprechen von einer »Weltpolizei«, also dem außenpolitischen Eingreifen in Konflikte weltweit (das im Einzelfall durchaus kritisiert werden kann), mit einem mulmigen Gefühl der Übermacht, so als hätten die USA die ganze Welt in der Hand.
Das Problem daran: Die Vorstellung einer globalen Elite, die alle Geschicke lenkt, »kultur-« und »heimatlos« ist, die Massen durch Popkultur dumm hält und das Geld kontrolliert, ist strukturell antisemitisch; auch wenn die Behauptung erstmal ohne »Juden« auskommt. Denn der Weg zum Verschwörungsglauben, Jüdinnen*Juden würden die USA steuern, ist hier nicht mehr weit. So heißt es in antisemitischen Weltbildern oft, große jüdische Namen wie Soros, Goldman Sachs oder Rothschild – alternativ auch eine namenlose »jüdische Lobby« – würden die Politik der USA lenken und so Einfluss auf den ganzen Globus nehmen. Antisemitismus und Antiamerikanismus tauchen oft verwoben auf 1.
Ein anderes Beispiel dafür ist eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Staat Israel, der angeblich ein westlicher Kolonialstaat sei, eine Installation der USA im Nahen Osten. Oder es wird eine israelische Kontrolle über die USA imaginiert, wodurch diese gleichsam als Marionette Israels Pläne umsetzen würden. Besondere Phantasien rufen bei Verschwörungsgläubigen die Geheimdienste CIA und Mossad hervor, die im Hintergrund Strippen ziehen und Kriege inszenieren würden. Gemein ist diesen Narrativen die Vorstellung einer israelisch-US-amerikanischen Komplizenschaft, die für Krisenprofite, die politische Destabilisierung des Nahen Ostens und ganz allgemein Globalisierung und Kapitalismus verantwortlich sein soll.
Tatsächlich sind die Beziehungen der USA zu Israel sehr komplex und keinesfalls einfach. Zwar sind die Vereinigten Staaten der engste Verbündete Israels, doch immer wieder gibt es Uneinigkeit über militärische Unterstützung oder andere Fragen. So kritisierten die USA häufig die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und auch Israels kriegerisches Vorgehen im Gaza-Streifen nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023.
Ganz gleich in welcher Ausdrucksform, Antiamerikanismus und Antisemitismus ergänzen sich gegenseitig zu einem Elitenhass, der die systemischen Probleme geopolitischer Konflikte, globaler Machtdynamiken und der kapitalistischen Wirtschaftsweise personifiziert, und der in einer Ablehnung dessen mündet, was man als »westlich« bezeichnen könnte. Dann heißt es, eine kleine, übermächtige Gruppe würde die träge und unselbstständige Mehrheit kontrollieren, sie von ihren Traditionen entwurzeln und sich an ihnen bereichern. Tauchen nun noch einige Menschen auf, die von sich behaupten, das Spiel zu durchschauen und die Wahrheit zu kennen, sind alle Elemente des modernen Verschwörungsglaubens beisammen. Was als Kritik an den Herausforderungen der Moderne begonnen hat, verdreht sich so zu einem regressiven Weltbild, das nach Schuldigen sucht und sich an antisemitischen Ressentiments bedient 2.
Amadeu Antonio Stiftung (2023): Israelhass und Antiamerikanismus. Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus #11. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/zivilgesellschaftliches-lagebild-antisemitismus-11/
↩Beyer, H., U. Liebe (2010): Antiamerikanismus und Antisemitismus: Zum Verhältnis zweier Ressentiments. Zeitschrift für Soziologie 39 (3). S. 215-232
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