Die Juden kontrollieren doch die Medien!

»Die Juden kontrollieren doch die Medien!«

Der Glaube an ein jüdisches Medienmonopol ist schon mehr als 150 Jahre alt. Schon der Nationalist und Antisemit Heinrich von Treitschke behauptete 1879 in einem Artikel, die Presse würde seltsamerweise mit den Juden anders umspringen als mit allen anderen »Völkern«. Der Gedanke seines Textes war simpel: Das Jüdische sei der Gegensatz zur Nation schlechthin und damit eine Bedrohung der ethnisch-kulturellen Reinheit innerhalb eines Nationalstaates. Jüdinnen*Juden würden die Nation von innen heraus zersetzen, indem sie die Wirtschaft und noch dazu die Presse manipulierten 1. Die Vorstellung, Jüdinnen*Juden hätten eine solche Übermacht, dass sie die öffentliche Meinung beeinflussen könnten, ist also nichts Neues – antisemitisch und falsch ist sie ebenso lange.

Auch heute ist das antisemitische Narrativ verbreitet, Jüdinnen*Juden würden die Medien kontrollieren. Unter dem Schlagwort »Lügenpresse«, das schon im Nationalsozialismus verwendet wurde und ab 2015 bei den PEGIDA-Demonstrationen u.a. in Dresden wieder auftauchte, versammeln sich Ankläger*innen einer vermeintlichen Meinungsdiktatur, welche die Gesellschaft durch Massenmedien dumm und gefügig mache. Auch während der Corona-Pandemie fand sich diese Ideologie unter den sogenannten »Querdenkern«.

Jetzt mal in Ruhe…

Das Misstrauen gegenüber gängigen Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern sowie der Verweis auf »alternative Medien« schürt den Glauben, in den Medien würden von einer eingeschworenen Elite Unwahrheiten verbreitet. Eine weitere Vorstellung ist, dass die Wahrheit zensiert werde und Systemkritiker*innen der Mund verboten würde. In der Realität können Meldungen zwar Fehler enthalten, diese sind jedoch durch die doppelte Absicherung von Informationen über mehrere unabhängige Quellen und eine allgemeine Kompetenz im Umgang mit Medien meist schnell zu benennen. Außerdem herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit – das bedeutet, es gibt keine Zensur und jede Person darf ihre Meinung öffentlich frei vertreten. Wichtig ist nur der Unterschied zwischen einer Meinung und dem Verbreiten von Falschinformationen, das tatsächlich rechtlich geahndet werden kann. Darunter fällt auch, andere Menschen gezielt zu manipulieren oder sie zu Gewalttaten anzustacheln.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Lage noch einmal verschärft. Durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen sind Menschen vor allem im Internet mit widersprüchlichen Informationen konfrontiert, von denen nicht überprüfbar ist, von wann oder woher sie stammen. Teilweise geben auch öffentliche Organisationen Meldungen und Zahlen heraus, die nicht übereinstimmen. Zusätzlich gibt es durch künstliche Intelligenz die Möglichkeit, Bilder zu schaffen, die so nie existiert haben, sondern aus verschiedenen Schnipseln zusammengebastelt oder gänzlich eine Erfindung sind. Dahinter steht jedoch nicht eine jüdische oder zionistische Verschwörung, wie zum Beispiel der Begriff »Zionistenpresse« suggeriert: Moderne Kriege sind immer auch Informationskriege, die durch gezielte Diskreditierung des Gegners um nationalen Zusammenhalt und internationale Aufmerksamkeit sowie Solidarität buhlen. Durch die Unmittelbarkeit des Austausches im Internet offenbart sich Nutzer*innen dann eine unübersichtliche Flut an Informationen, die im Kontext des Krieges tatsächlich schwer zu ordnen sind – selbst für Journalist*innen und Expert*innen.

Durch den Rückzug von einer gemeinsamen Informationsbasis müssen sich Antisemit*innen nicht einmal für ihre Ideologie rechtfertigen. Sie behaupten dann einfach, die Fakten seien gefälscht, und wer etwas anderes behauptet, gehöre eben zu den Opfern des Systems. Diese Haltung ist gefährlich, denn sie entzieht sich rationalen Argumenten und jeglicher inhaltlicher Rechtfertigung. Dass diese Ideologie reale Konsequenzen hat, zeigen jedoch zahlreiche Gewalttaten von Verschwörungsgläubigen und Antisemit*innen gegen gesellschaftliche Minderheiten.

  1. Holz, K. (2001): Nationaler Antisemitismus: Wissenssoziologie einer Weltanschauung. Hamburg

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